Opfer der Shoa aus Fürstenau
Bachmann (Nossens)
Bis zu ihrer Deportation lebte Albert B. mit seiner Frau Sidona und seinem Bruder Hermann in der jetzigen Straße „An den Teichen“ (jetzt Parkplatz der Bäckerei Balke).
Zeitzeugenberichte:
„Auf der Ecke, neben der Bäckerei Balke stand das Haus Bachmann, ein älteres Fachwerkhaus mit der Scheune zur Hohehäuser Straße hin. Die Bachmanns betrieben schon etwas Landwirtschaft. Darum kümmerte sich der Albert Bachmann. Hermann, sein Bruder war ein bisschen kränklich und war überwiegend zu Hause.
Albert war verheiratet, aber die Ehe blieb kinderlos. Neben der Landwirtschaft betrieben diese Bachmanns auch einen kleinen Viehhandel.
Hermann traf ich kurz vor der Deportation in der Feldmark Richtung Hohehaus beim Pilzesammeln, und da hab ich noch mit ihm gesprochen. Er freute sich sehr, weil ja mit den Juden keiner mehr sprechen durfte.“
„Diese Bachmanns betrieben eine kleine Landwirtschaft, die hatten wohl so ein paar Morgen, ein bisschen Gartenland und eine Wiese. Sie betrieben auch im geringen Umfang ein Viehhandel. Für diese Zwecke und für ihre Landwirtschaft hatten sie ein Pferd. Sie waren sehr genügsam. Hermann war ein bisschen kränklich; Albert war verheiratet.“
„Neben der Bäckerei Balke wohnten die Bachmanns. Sie betrieben neben ihrem Viehhandel wohl auch einen Schnapshandel und verkauften ihren Schnaps in ihrem Hause (hinter einer Klappe, die jedes Mal hochgeklappt wurde, wenn Kundschaft kam). Wenn dann wieder einer der Schnapskunden nahte, rief Albert B. seinem Bruder Hermann zu: „Hermann, mach ruhig zwei Striche (pro Flasche ein Strich, weil wohl später gezahlt werden sollte), der kommt heute noch einmal.“
So hatten sich im Laufe der Zeit anscheinend mehrere Fürstenauer bei den B. so sehr verschuldet, so dass sie sich offenbar Gartenland von den „Schuldnern“ übereignen ließen, weshalb diese Gärten dann auch Schnapsgärten (jetzt: Teichgärten) genannt wurden.
„Ich kann mich noch erinnern, als die Bachmanns abgeholt wurden, Wir Kinder waren zuhause und hörten gegenüber dieses Geschrei und einen ungewöhnlichen Lärm. Ich schob die Gardine etwas zur Seite, um nachzusehen, was da los sei, und blickte in einen Gewehrlauf. Ich zog mich erschrocken zurück und wagte nicht mehr, aus dem Fenster zu sehen.“
Albert Bachmann, * 7.11.1899 in Fürstenau, Sohn von Moses Bachmann und dessen 1. Ehefrau Sara (Salchen), geb. Dillenberg (aus Ovenhausen), Bruder des Hermann Bachmann.
Er besuchte nach der Volksschule von 1911-1915 das Gymnasium in Höxter und trat dann in den Viehhandel seines Vaters, Fürstenau Nr. 61 (Hohehäuser Str. 10 – jetzt: Möbel Paul –), ein, den er später mit seinem Bruder Hermann weiterführte. Am 1.4.1932 (od. 1922) Heirat mit Sidonia geb. Mansbach (aus Fritzlar). Die Ehe blieb offensichtlich kinderlos.
Nach 1933 ging das Viehhandelsgeschäft zwar zurück, aber die Existenz blieb noch gesichert, da „arische“ Konkurrenten fehlten und zudem schlechter zahlten. Ende September 1938 wurde den Brüdern jedoch der Viehhandel verboten. Das Ehepaar wurde am 9.12.1941 nach Riga deportiert. Von dort wurde Albert Bachmann (wohl im Juni 1944) nach Stutthof bei Danzig verbracht, wo er am 12.12.1944 ermordet wurde.

Klassenfoto mit Albert Bachmann 1913 – nicht identifiziert
Hermann Bachmann, *25.11.1901 in Fürstenau, Sohn von Moses Bachmann und dessen 1. Ehefrau Sara (Salchen), geb. Dillenberg (aus Ovenhausen), Bruder des Albert Bachmann.
Er trat nach der Schulzeit in den Viehhandel des Vaters, Fürstenau Nr. 61 (s.o.), ein und führte ihn später zusammen mit seinem Bruder Albert weiter. Er blieb unverheiratet. Nach 1933 ging das Viehhandelsgeschäft zwar zurück, aber die Existenz blieb noch gesichert, da „arische“ Konkurrenten fehlten und zudem schlechter zahlten. Ende September 1938 wurde den Brüdern jedoch der Viehhandel verboten. Er wurde am 9.12.1941 deportiert und im September 1943 in Auschwitz ermordet.
Sidonia Bachmann, geb. Mansbach, *23.9.1899 in Fritzlar, Tochter von Ascher Mansbach und Emma, geb. Mara(?).
Sie heiratete am 1.4.1932 (od. 1922?) den Viehhändler Albert Bachmann (s.o.) in Fürstenau. Die Ehe blieb kinderlos. Zusammen mit ihrem Mann wurde sie am 9.12.1941 nach Riga deportiert, von wo sie (wohl im Juni 1944) nach Stutthof verbracht wurde. Dort kam sie im April 1945 um.
Meier Bachmann
Bis zu seiner Deportation lebte Meier Bachmann in einem Bruchsteinhaus in der Hohehäuser Straße (zwischen Möbel Paul und dem Haus Hoppe).

Das ehem. Haus des Meier Bachmann in der Hohehäuser Str. (links), das er mit seiner Ehefrau Emma bis zu seiner Deportation bewohnte. (abgerissen – jetzt Teil des Ausstellungsteils des Möbelgeschäftes Paul, Hohehäuser Str. 10)
Zeitzeugen:
Die Bachmanns kamen am Abend häufig nach uns oder Voß rüber und setzten sich zu uns auf die Bank, wie das früher so üblich war. Wenn die dann Samstag ihren Shabbat feierten, dann kriegten wir Kinder auch von dem Matzebrot was ab. Das haben wir schon gern gemocht und haben uns darüber auch gefreut.“„Dann wohnte zwischen Hoppe und Paul, der Meier Bachmann. Das war ein Bruchsteinhaus, das später Pauls gekauft haben. Ich meine, der wäre verheiratet gewesen. Wovon die lebten kann ich nicht sagen. Die hatten wohl eine Kuh im Stall und lieferten die Milch ab. Auf dem Schleupen hatten die eine Weide. Auch ein paar Ziegen hatten sie. Sie lebten in sehr bescheidenen Verhältnissen.
„Den Lebensunterhalt bestritt das Ehepaar wohl durch Viehhandel im geringen Umfang. Im Stall standen nach meiner Erinnerung ein paar Ziegen und Schafe. Die Verhältnisse bei Meier Bachmann machten einen ärmlichen Eindruck.“
Meier Bachmann, *1.4.1864 in Fürstenau, Sohn von Nathan Bachmann und dessen 2. Frau Eva, geb. Löwenstein (aus Frohnhausen).
Er führte mit seinem Vater und später mit seinen Neffen Albert und Hermann den Viehhandel der Familie fort. Zusätzlich verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Viehtreiber bei den Löwensteins.
Die Vermögensverhältnisse werden als sehr ärmlich beschrieben.
Im Mai 1914 wurde er in den Vorstand der Synagogengemeinde gewählt. Am 1.8.1942 wurde er zunächst mit seiner Ehefrau Emma nach Theresienstadt und von dort am 23.9.1942 weiter nach Treblinka deportiert. Nach dem Krieg wurde er in Minsk für tot erklärt.
Emma Bachmann, geb. Fischel, * 12.12.1877 in Rimbeck
Ehefrau des Meier Bachmann. Am 1.8.1942 nach Theresienstadt deportiert.
Gebr. Bachmann, Berta und Inge Bachmann
Bis zu ihrer Deportation lebten die Bachmanns in ihrem Haus im „Lindeneck“ (jetzt Fleischerei Wittrock).
Im Vergleich zu den übrigen jüdischen Mitbürgern Fürstenaus hatten B. bereits einen gewissen Wohlstand erworben. Sie betrieben Landwirtschaft und bewirtschafteten ca. 20 Morgen Ackerland und Weiden.
Die gesamte Familie wurde am 9.12.1941 nach Riga deportiert und dort für tot erklärt.
Zeitzeugen:
„Die meisten der Fürstenauer Juden waren im Viehhandel tätig. So zum Beispiel auch der Siegfried Bachmann, der sein Haus im Lindeneck hatte, jetzt Lindeneck Nr. 2 (Metzgerei Wittrock).
Der Siegfried B. hatte ein sehr schönes Haflinger-Gespann, mit dem er dann übers Land zog und seinen Handel betrieb. Auf dem Wagen war ein großer Viehkasten, in dem 3 Rinder Platz hatten.
Einmal, es muss 1932/33 gewesen sein, verkaufte er an drei Fürstenauer jeweils eine Rind, u.a. an meinen Vater und auch an den Vater des Karl M. und der hat mir erzählt, er habe in Erfahrung gebracht, von wem der Siegfr. B. die Rinder gekauft habe; es sei ein Bauer aus Eversen gewesen. Karl M. habe den besagten Bauer aus Eversen bei Gelegenheit aufgesucht und ihn gefragt, was er für ein Rind bekommen habe. Dieser habe versichert, von Siegfr. B. 150 Mark bekommen zu haben. Der Vater des Karl M. habe aber 250 Mark für ein Rind gezahlt. Karl M., der diese Begebenheit berichtete, habe sich doch über die beachtliche Gewinnspanne (300 Mark für drei Rinder) gewundert, für die ein Arbeiter einen ganzen Monat hätte arbeiten müssen.“
„Dann lebten im Lindeneck, dort wo jetzt Anton Wittrock seine Metzgerei hat, die Bachmanns. Die hatten schon ein recht ordentlich Haus. Man konnte diese Bachmanns nicht gerade als reich bezeichnen, aber im Vergleich zu den anderen Juden in Fürstenau waren sie schon wohlhabender.
Hier lebten die Brüder Siegfried und Moritz. Die betrieben auch Landwirtschaft. Die hatten schon zwei Pferde mit denen sie das Land beackerten und den Viehhandel betrieben.
Siegfried war verheiratet mit Bertha; sie hatten eine Tochter Inge. Die Familie kehrte ebenfalls nicht zurück.“
Siegfried Bachmann, *8.8.1892 in Fürstenau, Sohn von Alex Bachmann und Emma, geb. Kohlenstein (aus Fürstenau).
Er trat nach seiner Schulzeit in den Viehhandel seines Vaters, Fürstenau Nr. 101 (jetzt: Lindeneck 2), ein und führte ihn später zusammen mit seinem Bruder Moritz fort. Am 14.4.1929 heiratete er die aus Lichtenau stammende Bertha, geb. Silberberg, mit der er die 1929 geborene Tochter Inge hatte. Die Familie war für die damaligen Verhältnisse relativ wohlhabend und verfügte über rund 20 Morgen Grundbesitz.
Das Geschäft ging im 3. Reich allmählich zurück, bot jedoch bis in die 2. Hälfte der 1930er Jahre eine Existenzgrundlage, da „arische“ Konkurrenten fehlten und die jüdischen Viehhändler besser zahlten.[1] Zum 30.9.1938 mussten aber beide Brüder ihre Legitimationskarten als Handlungsreisende abgeben.
Beim Novemberprogrom 1938 wurde Siegfried durch einen Stich ins Gesäß verletzt.
Berta Bachmann, geb. Silberberg, *9.11.1903 in Lichtenau, Tochter von Louis Silberberg und Julie, geb. Eichengrün.
Sie heiratete am 14.9.1929 den Viehhändler Siegfried Bachmann, Fürstenau Nr. 101, und hatte mit ihm die Tochter Inge.
Inge Bachmann, *22.11.1929 in Fürstenau, Tochter von Siegfried Bachmann und Berta, geb. Silberberg, Fürstenau Nr. 101.
Sie wurde mit ihren Eltern am 9.12.1941 nach Riga deportiert und ist dort verschollen.
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Das Foto zeigt den Viehhändler Moritz Bachmann im Jahre 1938 im Alter von 43 Jahren
Er war unverheiratet und führte später zusammen mit seinem Bruder Siegfried den väterlichen Viehhandel, Fürstenau Nr. 101, fort. Die Familie war im Vergleich mit den anderen jüdischen Mitbürgern Fürstenaus relativ wohlhabend und verfügte über rund 20 Morgen Grundbesitz. Das Geschäft ging im 3. Reich allmählich zurück, bot jedoch bis in die 2. Hälfte der 1930er Jahre eine Existenzgrundlage, da „arische“ Konkurrenten fehlten und die jüdischen Viehhändler besser zahlten. Zum 30.9.1938 mussten aber beide Brüder ihre Legitimationskarten als Handlungsreisende abgeben.
Zusammen mit dem Bruder und dessen Familie wurde Moritz Bachmann am 9.12.1941 nach Riga deportiert und dort nach dem Krieg für tot erklärt.
Die Familie Judenberg
Die Judenbergs führten am Durchgang zwischen Detmolder Straße und Schwertestraße (jetzt Fleischerei Hartmann) einen Kolonial- und Kramwarenladen.
Markus J. war bis zu seiner Deportation im Vorstand der Synagogengemeinde tätig. Der Laden wurde wurde von der Pflegetochter Carla Pins geführt.
Das Ehepaar lebte kinderlos, da ein Sohn (Moritz, *1887) und eine Tochter (Rosa, *1888) schon als Kinder starben. Deshalb nahm die Familie die Pflegetochter Carla auf, die später den aus Herne stammenden Max Pins heiratete.
Carla Pins war die jüngste Tochter des Jakob Judenberg, eines Bruders des Markus Judenberg, Fürstenau.
Wegen der Krankheit der Ehefrau Rica (gest. 1932) war zumindest seit den 1920er Jahren die Haushälterin Karoline Böhm angestellt. 1936 übernahm die Pflegetochter Carla das Geschäft, bis es 1938 geschlossen werden musste.
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Zeitzeugen:
„Mein Vater und ich sind kurz vor Weihnachten dieses Jahres, es war schon dunkel, nach Kisters die Schwerte heruntergegangen, um Ferkel zu holen. Da kam der alte Markus die Schwerte hoch; die Juden durften das Haus ja nicht mehr verlassen und konnten allenfalls noch bei Dunkelheit nach draußen gehen.
Mein Vater konnte es gut mit ihm. Der Markus Judenberg begrüßte meinen Vater und die beiden haben dann noch zehn Minuten miteinander gesprochen, dann hat er sich verabschiedet, weil er befürchtete, man könnte beide zusammen sehen; das wäre für meinen Vater auch nicht gut ausgegangen. Da sagte der alte Markus beim Abschied: „Josef, das gebe ich dir mit auf den Weg: Wenn die mit uns fertig sind, dann seid ihr dran!“
„Der alte W., der Vater von H.W., führte in der schlechten Zeit (20er-Jahre) mit seiner Firma in so einer Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eine Baumaßnahme in der Grabenstraße durch. Es war Samstag; die Arbeiter waren auszubezahlen, aber in Höxter war noch kein Geld angekommen. Als Ausweg bot sich der Gang zu einem hiesigen Juden, dem Markus Judenberg an, der ihm dann 300 Mark lieh. In der darauffolgenden Woche konnte W. den Kredit bereits zurückzahlen. Auf die Frage, wie viel er dem Judenberg nun schuldig sei, antwortete Markus Judenberg: „Du schuldest mir 300 Mark, billiger kann ich es nicht machen!“
„Der alte Markus Judenberg war korrekt bis auf die Knochen; schummeln hätte es bei ihm nie gegeben. Aber großzügig waren die Judenbergs schon. Da bekam man als Kind auch schon häufiger mal was zugesteckt.
Der Markus hatte alles was man sich denken konnte: Sägen, Nägel, Kurzwaren, Lebensmittel alles, was man so im Dorfe brauchte. Ich weiß noch als wir gebaut haben, ging mein Vater nach Markus, um Nägel zu holen. Der Preis erschien ihm etwas hoch, weshalb mein Vater ihm sagte, die gäbe es bei … etwas billiger. „Ja, Josef, denn musst du sie da kaufen, billiger kann ich sie dir nicht geben“, war dann die Reaktion. Von der Familie Judenberg hat nur die Carla überlebt.“
Carla hat wohl einen Todesmarsch überlebt, was an sich schon ein Wunder ist, und von Kiel aus wurde sie nach dem Kriege vom schwedischen Roten Kreuz nach Schweden gebracht. Von dort aus ist sie dann nach Amerika ausgewandert.“
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Das Foto zeigt Markus Judenberg im Jahre 1938 im Alter von 81 Jahren.
Die Familie Judenberg betrieb in Fürstenau Nr. 76 einen Kolonial- und Gemischtwarenhandel und konnte im Vergleich zu en übrigen jüdischen Mitbürgern als wohlhabend angesehen werden.. Sicherlich auch deshalb wurde Markus Judenberg unter anderem im Mai 1914 in den Synagogenvorstand gewählt. Am 2.12.1885 heiratete er die aus Fürstenau stammende Regine, geb. Bachmann (*1847). Markus Judenberg wurde am 1.8.1942 nach Theresienstadt deportiert. Der 85-Jährige weigerte sich dabei, das Pferdefuhrwerk, das ihn nach Höxter bringen sollte, im Ort zu besteigen. Er wollte seine Heimat zu Fuß verlassen und stieg erst außerhalb von Fürstenau auf das Fahrzeug. Von Theresienstadt wurde er am 23.9.1942 nach Treblinka verbracht und in Minsk für tot erklärt.
Max Pins, *14.8.1900 in Herne, Sohn von Joseph Pins und Henriette, geb. Baum. Er war Fleischer und heiratete Carla Judenberg, Tochter des Jakob Judenberg und dessen Ehefrau Therse, geb. Blank. Carla war später Pflegetochter von Markus und Regine Judenberg; sie übernahm ab 1936 den Lebensmittel- und Gemischtwarenladen ihrer Pflegeeltern, Fürstenau Nr. 76, aus dem der Lebensunterhalt der Familie bestritten werden musste, bis der Laden 1938 geschlossen werden musste. Kurz vor Kriegsbeginn beantragte Max Pins für sich und seine Frau Pässe zur Auswanderung, da er im Besitz einer Einreiseerlaubnis zur Aufnahme im Durchgangslager Richborough (England) war. Doch wegen des Kriegsbeginns waren auch mehrfach wiederholte Anträge erfolglos. Am 9.12.1941 wurde er nach Riga deportiert, wo er am 22.12.1944 umkam.
Seine Frau Carla Pins, *3.11.1900 hat die KZs und Gräuel überlebt. Ende September 1944 wurde sie aus dem Ghetto Riga in das lettischische KZ Libau verlegt. Im Februar wurde sie in das Hamburger Gefängnis Fuhlsbüttel verbracht. Von dort mussten sich die Juden, so auch Carla Pins, Anfang April 1945 zu Fuß auf einen sog. Todesmarsch in das 86 km entfernte „Arbeitserziehungslager“ Hassee bei Kiel begeben, von wo aus Carla P. Ende April 1945 zusammen mit weiteren 168 Juden auf Grund von Verhandlungen zwischen Heinrich Himmler und einem Vertreter des Jüdischen Weltkongresses nach Schweden gelangte. Mit diesen Verhandlungen erhoffte sich Heinrich Himmler eine günstigere Behandlung durch die alliierten Siegermächte. Von Schweden ist Carla Pins Wochen später nach Amerika ausgewandert. Sie stand noch Monate später mit einem Fürstenauer Zeitzeugen in Briefkontakt.
Es könnte sich bei ihr um eine jüngere Cousine von Max Pins handeln, eine anscheinend uneheliche Tochter von Hedwig Baum, einer Schwester seiner Mutter.
Karoline (Lina) Böhm, geb. Kirchheimer, *5.4.1873 in Nieheim, Tochter von Aron Kirchheimer und Mina, geb. Grünewald (aus Fürstenau).
Sie war zunächst mit einem Böhm (Vorname unbekannt) verheiratet und kam wohl in den 1920er Jahren nach Fürstenau, woher auch ihre Stiefmutter Jettchen Kirchheimer geb. Bachmann stammte. Hier führte sie wegen der Krankheit der Hausfrau Regine und auch nach ihrem Tode (1932) den Haushalt der Familie Judenberg, Fürstenau Nr. 76. Zusammen mit den Familienmitgliedern wurde sie am 1.8.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie umkam. Bekannt ist das Datum der Verbrennung ihres Leichnams am 29.12.1944.
Die Dillenbergs
Nach Aussagen vieler Zeitzeugen lebte die Familie Dillenberg in dürftigsten Verhältnissen. Die Familie verdiente sich überwiegend ihren Lebensunterhalt als Viehtreiber bei den Viehhändlern Löwenstein und Bachmann.
Hermann Dillenberg handelte darüber hinaus im bescheidenen Umfang mit Schafen, Ziegen und Kälbern.
Zeitzeugen:
„Dillenbergs wohnten hier unten an der Schwerte an der Ecke. Der war eigentlich Viehtreiber bei Löwensteins. Bis auf einen kleinen Garten hatten Dillenbergs kein Land. Der alte Hermann Dillenberg hatte zwei Söhne, Albert und Ernst.
Der Albert ist wohl noch vor dem Krieg nach England entkommen; der ist nach dem Kriege noch einmal kurz in Fürstenau gewesen. Der Ernst ist im KZ umgekommen.“
„Auch weiß ich aus den Erzählungen der Älteren noch, wie man hier die Schützenfeste feierte. Da wären die jüdischen Mädel, so z. B. Dillenbergs Rosa, mittendrin gewesen und hätten die wildesten Tänze, wenn es nach Mitternacht so richtig hoch hergegangen sei, mitgetanzt und mitgejuchzt.
Von den Dillenbergs weiß ich, dass einer der Söhne auswandern wollte, war in Italien schon auf dem Schiff, und da hat man ihn wieder heruntergeholt. Der zweite Sohn ist nach England gegangen. Er soll bei der englischen Luftwaffe gewesen sein. Man erzählt sich, er wäre auch nach dem Kriege mal wieder in Fürstenau gewesen.“
Hermann Dillenberg, *20.1.1884 in Ovenhausen, Sohn von Meyer Dillenberg und Hannchen, geb. Bierhoff (aus Borgentreich).
Nach dem Schulbesuch trat er vermutlich zunächst in das elterliche Geschäft in Ovenhausen ein, das vor allem mit Schafen, Ziegen und Kälbern handelte. Aus dem 1. Weltkrieg kehrte er als Kriegsbeschädigter zurück. Er heiratete Rosa, geb. Löwenstein, und lebte mit ihr in Fürstenau Nr. 87b (jetzt: Schwertestr.). Am 9.12.1941 wurde das Ehepaar nach Riga deportiert, wo Hermann Dillenberg verschollen ist.
Rosa Dillenberg, geb. Löwenstein, *29.3.1882 in Fürstenau, Tochter von Gerson Löwenstein und Klara, geb. Desenberg (aus Frohnhausen od. Fürstenau). Sie war verheirate mit Hermann Dillenberg, Fürstenau Nr. 87b. Am 9.12.1941 wurden beide nach Riga deportiert, wo Rosa Dillenberg für tot erklärt wurde.
Ernst Dillenberg, *17.9.1915 in Fürstenau, Sohn von Hermann Dillenberg und Rosa, geb. Löwenstein (aus Fürstenau).
Er heiratete Grete geb. Levi und wohnte mit ihr in Fürstenau Nr. 87b. Das Datum seiner Deporation ist bisher nicht zu klären (möglicherweise am 9.12.1941 von Fürstenau, dann 1942 von Schildesche? – vgl. Berl Dillenberg). Er wurde in Auschwitz für tot erklärt.
Grete Dillenberg, geb. Levi, *17.9.1912 (vielleicht in Schildesche?).
Sie heiratete Ernst Dillenberg und wohnte mit ihm in Fürstenau Nr. 87b. Das Datum ihrer Deporation ist bisher nicht zu klären (möglicherweise am 9.12.1941 von Fürstenau, dann 1942 von Schildesche? – vgl. Berl Dillenberg). Sie ist in Auschwitz verschollen.
Berl Dillenberg, *16.3.1942 in Schildesche bei Bielefeld, Sohn von Ernst Dillenberg und Grete, geb. Levi.
Nach den bisher vorliegenden Daten wurden seine Eltern von Fürstenau Nr. 87b nach Auschwitz deportiert.. Vielleicht wurde die Deportation der Eltern wegen der weit vorangeschrittenen Schwangerschaft der Mutter in Bielefeld unterbrochen, folgte aber dann im Jahr 1942. Berl Dillenberg ist in Auschwitz verschollen, wahrscheinlich wurde er als Säugling in Auschwitz ermordet.
Das Ehepaar Jacobi (Berta und Emanuel (Manuel):
Das Ehepaar betrieb in Fürstenau ein Kolonialwaren- und Kurzwarenhandelsgeschäft, das 1938 aufgegeben werden musste. Das Geschäft und das Wohnhaus der Jakobis befand sich an der Hohehäuser Str. (jetzt: Garage Potthast).
Zeitzeugen:
„An der Hohehäuser Str., dort wo August Potthast jetzt seine Garage hat, betrieben die Jakobis, Berta und Manuel, einen kleinen Laden. Die beiden waren kinderlos und sind auch nicht mehr zurückgekommen. Die Berta kam ebenso wie die Frau Dillenberg aus dem Löwenstein’schen Hause. Deshalb hielt sich die kleine Kläre Löwenstein sehr oft bei Tante und Onkel Jakobi auf.“
„Mir sind die Juden noch im guten Gedächtnis. Vor allem erinnere ich mich an Berta Jakobi, die mit ihrem Mann Emanuel (Manuel) Jakobi ein Lebensmittelgeschäft an der Hohehäuser Str. (jetzt Garage Potthast) führte.
Wir nannten sie nur „Tanta Berta“. Sie war sehr kinderfreundlich. Niemals sind wir aus dem Laden gegangen, ohne dass sie uns ein Bonbon zugesteckt hätte.
„Die Jakobis hatten einen Gemüsegarten. Aber kaum einmal sind ihr die Gurken gelungen, worüber sie sehr unglücklich war. So brachten meine Eltern ihr zur Ernte schon mal Körbe frisch geernteter Gurken. Zum Dank stellte sie uns dann einen Korb mit Gewürzen und Wurstbändern, was wir für die Hauschlachtung so sehr vermissten, in den Garten.
Ich erinnere mich auch daran, dass sie uns in der Nacht vor ihrem Abtransport (09.12.1941) einen solchen Korb in den Garten stellte.
Dies tat sie deshalb, um uns nicht in Gefahr zu bringen, denn wir durften als Deutsche von Juden ja keine Geschenke annehmen.“
„Ich kann das bestätigen, was W. über Tante Berta gesagt hat. Sie war eine herzensgute Frau.
Allerdings war ihr Mann Manuel nicht ganz so freigiebig, aber auch er bot uns hin und wieder schon einmal ein Bonbon an. Ich erinnere mich daran, dass er es nicht immer ganz genau nahm. Es kam schon mal vor, dass er Heringe aus dem Fass mit bloßen Händen anfasste und uns mit diesen Händen dann ein Bonbon anbot, das dann natürlich einen etwas anderen Geschmack hatte. Dann haben wir das Bonbon lieber abgelehnt.“
„Gut kann ich mich an Tante Berta erinnern, die immer ein gutes Herz hatte und uns Kindern immer etwas zusteckte.
Sie war auch äußerst rechtschaffen. Einmal habe ich bei ihrem Mann Manuel ein Teesieb gekauft, wofür er mir 15 Pfennig abverlangte.
Tage später traf sie mich und fragte, wie viel ich für das Sieb bezahlt hätte. Ich gab den Preis an, worauf sie mir sagte, das sei wohl zuviel und gab mir 5 Pfennig zurück.“
„Die Jacobis betrieben in der Hohehäuser Str. einen Kolonialwarenhandel. Da sind wir Kinder immer gern hingegangen. Die Tante Berta ließ uns niemals gehen, ohne uns ein paar Bonbons in die Hand zu drücken; das war damals schon was Besonderes, wo gab es das schon?
Ich musste häufig bei den Jacobis Eier gegen Heringe tauschen, beides kostete damals jeweils 10 Pfg. das Stück. Man musste mich nicht erst fragen, ob ich dorthin gehen wollte.“
Berta Jacobi, geb. Löwenstein, *19.4.1884, Tochter von Gerson Löwenstein und Clara Desenberg (aus Löwendorf od. Frohnhausen). Sie heiratete am 2.2.1922 Emanuel Jacobi aus Fürstenau. Die Ehe blieb kinderlos. Zusammen wurden sie am 9.12.1941 nach Riga deportiert und sind dort verschollen.
Emanuel (Manuel) Jacobi, *31.3.1870 in Fürstenau, Sohn von Jacob Jacobi und dessen 2. Ehefrau Elise, geb. Lipper (aus Fürstenau).
Er heiratete am 2.2.1922 Berta, geb. Löwenstein (aus Löwendorf oder Frohnhausen). Die Ehe blieb kinderlos. Zusammen wurden sie am 9.12.1941 nach Riga deportiert und sind dort verschollen.
Familie Löwenstein
Die Löwensteins betrieben einen Viehhandel an der unteren Hohehäuser Str. (jetzt Nr. 3).
Zeitzeugen:
„Die Juden waren in Fürstenau allgemein beliebt und geachtet. Sie waren in das Dorfleben voll integriert. Dass die meisten Fürstenauer auch während der Nazi-Zeit den Juden wohlgesonnen waren, zeigt das Beispiel, dass über die Fam. Löwenstein, jetzt Hohehäuser Str. 3, die Juden im Dorf mit Lebensmitteln versorgt wurden.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass bei meiner Mutter Lebensmittel abgegeben wurden, die wir dann über den Zaun in Löwensteins Schuppen gestellt haben. Die Fürstenauer setzten sich dadurch natürlich Gefahren aus, die sie bewusst in Kauf nahmen, auch auf die Gefahr hin, dass sie sich selbst Repressalien aussetzten.
Wir waren auch oft mit den jüdischen Kindern zusammen, z.B. habe ich mit Löwensteins Kläre oft zusammen Schularbeiten gemacht.
Ihre Mutter die uns beaufsichtigte, war dabei streng. Wie oft hat sie auch mir meine Tafel ausgeputzt, wenn sie der Meinung war, ich hätte nicht ordentlich genug geschrieben.“
„Die Löwensteins, unten an der Hohehäuser Str., waren das Ehepaar David und Bernhardine. Sie hatten zwei Kinder, Helmut und Kläre. Kläre war in unserem Alter und ging mit uns zur Schule.
Helmut hat wohl als einziger das KZ überlebt und kehrte nach dem Kriege für ein Jahr nach Fürstenau zurück und lebte bei der Familie Hoppe, die Löwensteins Haus erworben hatte.
Helmut wanderte dann über Frankreich nach Amerika aus.“
Bernhardine Löwenstein, geb. Weitzenkorn, *15.2.1900 in Obermarsberg, Tochter von Jacob Weitzenkorn und Hulda geb. Rosenthal.
Sie heiratete am 29.10.1926 den in Fürstenau Nr. 14 lebenden David Löwenstein und hatte mit ihm die Kinder Kläre (*1927) und Helmut (*1931). Sie wurde mit der Familie am 9.12.1941 nach Riga deportiert und in Stutthof für tot erklärt.
David Löwenstein, *25.11.1887 in Frohnhausen od. Fürstenau, Sohn von Gerson Löwenstein und Clara, geb. Desenberg (aus Löwendorf od. Frohnhausen).
Er heiratete am 29.10.1926 Bernardine, geb. Weitzenkorn, aus Obermarsberg und lebte dann mit ihr in Fürstenau Nr. 14. Das Ehepaar hatte die Kinder Kläre (*1927) und Helmut (*1931). Die Familie wurde am 9.12.1941 nach Riga deportiert und dort für tot erklärt.
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Der Sohn Helmut Löwenstein, *26.5.1931, ist einer der beiden jüdischen Mitbürger Fürstenaus, die den Naziterror überlebt haben. Mit seiner Familie wurde er am 9.12.1941 nach Riga deportiert. Nach Ende des Krieges wurde er in Dachau befreit. Er lebte dann für mindestens ein Jahr bei der Familie Hoppe, die das Haus seiner Eltern erworben hatte. Auf einer noch vorhandenen Empfangsbescheinigung bestätigte er am 29. März 1946 dem damaligen Ortsdiener, dass er ein Paket erhalten habe, „ …welches mir von Amerika zugesandt wurde …“. Nicht mehr feststellbar ist der Zeitpunkt, wann er über Frankreich in die USA ausgewandert ist, wo er heute noch leben soll.
Kläre Löwenstein, *4.12.1927 in Fürstenau, Tochter von David Löwenstein und Bernardine, geb. Weitzenkorn (aus Obermarsberg).Sie wurde zusammen mit ihrer Familie am 9.12.1941 von Fürstenau Nr. 14 nach Riga deportiert und in Stutthof für erklärt.
In dem untenstehenden Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen v. 2. Juni 1942 wird lapidar mitgeteilt, dass die darin aufgeführten jüdischen Eigentümer der Ge-meinde Fürstenau nach Riga „evakuiert“ seien
Quellennachweis:
- Veröffentlichung der Max Pins Gesellschaft Kunstverein e.V. (Fritz Ostkämper, 27.12.2006)
- Ernst Würzburger: „Die ehem. Jüdische Gemeinde Fürstenau, Höxter-Corvey, Heft 11/1988, S. 5-15
- Stefan Baumeier und Heinrich Stiewe “Die vergessenen Nachbarn – Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen“ (Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 2006)
- Jörg Dewenter „Das Abseits als sicherer Ort“ (Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn)
- Prof. Gertrude Schneider „Reise in den Tod“ Deutsche Juden in Riga 1941-1944