Begriff des Judentums

Begriff des Judentums

Begriff des Judeseins in der jüdischen Tradition

Nach der herkömmlichen Auslegung der Halacha, der jüdischen Religionsvorschriften gilt jeder Mensch als Jude, der eine jüdische Mutter hat, egal ob er die jüdischen Glaubens-vorschriften befolgt oder nicht.

Dabei ist Bedingung,dass die Mutter bei der Empfängnis Jüdin sein muss. Wenn also eine nichtjüdische Frau nach der Empfängnis, aber noch vor der Geburt zum Judentum konvertiert, ist das Kind kein Jude. Wenn sie jedoch kurz vor der Empfängnis konvertiert, ist das Kind jüdisch.

Ein Kind eines Juden und einer nichtjüdischen Mutter ist demzufolge nach der Halacha kein Jude.

In diesem Zusammenhang kommt der Mutter in der jüdischen Tradition ein außergewöhnlich hoher Stellenwert zu, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Frau ansonsten kein gleichberechtigtes Mitglied der Gemeinde ist, und sie keine verantwortliche Position einnehmen kann.

Wichtig ist bei dieser Betrachtung die Tatsache, dass die religiöse Verpflichtung nur für Jungen verbindlich ist, nicht jedoch für Mädchen: „Und ihr sollt sie (die Thora) lehren euren Söhnen.“[1]

Hinzu kommt, dass die Frauen von der Einhaltung aller religiösen Pflichten befreit sind.[2]

In den meisten Synagogen hatten die Frauen einen eigenen Zugang und durften nur auf der sog. Frauenempore Platz nehmen, ohne sich aktiv am Gottesdienst oder an den Gebeten beteiligen zu dürfen. Dies dürfte in der Fürstenauer Synagoge wegen der dort beengten Verhältnisse nicht der Fall gewesen sein.

Im Zeitalter der Aufklärung kam es innerhalb des Judentums zu einer Diskussion über die Sinnhaftigkeit mancher Gesetze der Thora, so auch der Halacha. Die liberalen Juden insbesondere West- und Mitteleuropas begannen, ältere Bräuche, u.a. auch die Frage, wer Jude und wer Nichtjude sei, zur Diskussion zu stellen.

Danach erkannten die sog. Reformjuden, als solche können auch die Juden betrachtet werden, die im Raume Höxter (Fürstenau) lebten, jedes Kind mit nur einem jüdischen Elternteil – Vater oder Mutter – als jüdisch an, wenn dieses Kind nach den Standarts der jeweiligen jüdischen Gemeinschaft erzogen und aufgezogen wurde.

Diese Abweichung von der orthodoxen Sichtweise hat teilweise zu starken Spannungen innerhalb des Judentums geführt.

Die Frage, wer Jude ist und wer nicht, hat weitreichende religiöse Folgen. So ist eine jüdische Eheschließung nur dann gültig, wenn sie zwischen zwei jüdischen Partnern geschlossen wird. Weiter und noch bedeutungsvoller ist die Vorschrift, dass ein öffentlicher Gemeinschaftsgottesdienst nur dann abgehalten werden kann, wenn mindestens zehn männliche jüdische Beter (Minjan) anwesend sind, was mitunter zur Folge haben kann, dass ein Verstorbener wegen Nichterreichens der Mindestzahl der Beter nicht nach vollständigem jüdischen Ritus bestattet werden kann.

Antijudaistische und antisemitische Definition:

Die Frage, wer Jude sei oder nicht, konnte je nach Gesellschaft darüber entscheiden, ob diese Person einen bestimmten Beruf ausüben, eine Ausbildung erhalten, an einem bestimmten Ort leben durfte, in Haft gehalten werden, verbannt werden oder mit behördlicher Genehmigung ermordet werden konnte.

Dabei war die Einordnung des Begriffs „Jude“ oft von diffusen Annahmen oder Vorurteilen bestimmt.

Der Antisemitismus definierte das Judesein eher ethnisch-rassistisch und weniger religiös, um auch zum Christentum konvertierten Juden weiterhin mit angeblich unveränderlichen und ererbten negativen Charaktereigenschaften ausgrenzen zu können.

So konnten im Deutschen Kaiserreich bis 1918 trotz aller Assimilationsbestrebungen der Juden  (Verzicht auf Religionsausübung, Heirat mit Nichtjuden, Konversation zum Christentum) keine volle gesellschaftliche Anerkennung, Bildungs- und Aufstiegschancen erreicht werden.

Das NS-Regime sah als Ziel seiner „Rassenpolitik“ zunächst die Vertreibung aller Judenstämmigen und der von Juden abstammenden „Mischlinge“ vor.

Mit den sog. Nürnberger Gesetzen jedoch wurde ein wesentlich schärferer Umgang mit der jüdischen Bevölkerung verfolgt. Diese Nürnberger Gesetze wurden nunmehr, ungeachtet des Glaubensbekenntnisses, auf alle Personen angewandt, die mindestens einen jüdischen Großelternteil hatten. Der Zeitpunkt der Konversation wurde willkürlich auf das Jahr 1800 festgelegt. Den betroffenen Juden in Deutschland wurden damit ihre deutsche Nationalität und Bürgerrechte aberkannt.

Das NS-Regime benutzte seine rassische Definition von Judesein mit den Beschlüssen der Wannsee-Konferenz zur Deportation, Ghettoisierung und Vernichtung der Juden im Holocaust. Der zweite Weltkrieg führte dazu, dass die Vernichtungspolitik des NS-Regimes sich rigoros und akribisch bis zum Ende des Krieges im Jahr 1945 auf alle besetzte Länder Europas erstreckte.

[1] Deuteronomium  11,19

[1] Elbogen, S. 466 ff.